Vielleicht liest und hörst auch du immer wieder, dass diverse Hilfsmittel, die wir mit unseren Pferden im Alltag nutzen, nicht hilfreich sind. Allen voran sicher Gerte, Sporen und z.B. Kandarrengebisse.
Es gibt sicher einige Erfindungen, die tatsächlich nicht hilfreich sind, doch vor allem diese drei Hilfsmittel nutze ich selbst. Und heute möchte ich dir erklären, warum.
Was ist ein gutes Hilfsmittel?
Das wichtigste gleich zuerst: Die meisten Ausrüstungsgegenstände, die wir im Alltag und im Training mit unseren Pferden nutzen, sind erst einmal nicht von vorne herein gut oder schlecht – denn dazu macht sie erst die Hand, die sie nutzt – und die Frage wie sie benutzt werden.
Das beste Beispiel sind hierfür vermutlich Sporen: Denn die sind keinesfalls dafür da, ein stumpfes und triebiges Pferd besser vorwärts zu bekommen – oft stumpft der Sporen solche Pferde sogar weiter ab, weil sie den Schenkel als treibende Hilfe überhaupt nicht verstanden haben und dadurch weder das Bein noch der Sporen Sinn für das Pferd haben. Genauso wenig ist der Sporen für ein unruhiges oder klammerndes Reiterbein geeignet.
Denn das Ziel ist es, einen Sporen nur ganz punktuell einzusetzen, um mit seiner Hilfe schwierigste Lektionen in schneller Abfolge fein, für das Pferd leicht verständlich (weil die unterschiedlichen Punkte klar abgegrenzt sind) und beinahe unsichtbar zu reiten.
Sporen gehören also nur in die Hände von erfahrenen Reitern. Und das ist das Problem mit vielen Hilfsmitteln. Oft braucht es Erfahrung, gutes Handling und vor allem Timing um Hilfsmittel wie z.B. Ausbinder korrekt und richtig zu benutzen – und wer das kann, braucht diese Unterstützung meist gar nicht mehr.
Und warum braucht es dann eine Gerte?
Doch konzentrieren wir uns auf ein Hilfsmitteln, das ich im Training mit meinen Pferden immer dabei habe und das ich auch dir empfehle: Die Gerte.
Sie dient mir als verlängerter Arm, Abstandhalter, Taktstock, Erinnerung, Impulsgeber, Energieverwalter und vieles mehr. Und sie ist tatsächlich aus meinem Training nur schwer weg zu denken.
In der Freiheitsdressur geht es uns ja vor allem um eines: Freiheit. Wir arbeiten mit unseren Pferden ohne Halfter, Trense oder Seil und möchten gemeinsam mit ihnen über Platz und Wiesen tanzen. Raum für „Korrekturen“ gibt es da generell wenig – denn unser Pferd könnte sich in jedem Moment dazu entscheiden zu gehen. Doch das ist auch nicht mein Anspruch an die Gerte.
Die Gerte soll und darf kein Hilfsmittel sein vor dem sich dein Pferd fürchtet. Das wäre sogar kontraproduktiv und ich habe schon viel Zeit mit Pferden verbracht, um ihnen diese Angst wieder zu nehmen. Denn ein ängstliches Pferd wird nicht federleicht auf ein sanftes Antippen mit der Gerte reagieren können – dazu ist es viel zu steif und panisch, wenn es Härte erwartet.
Doch eine Gerte hat mit Strenge und Härte nichts am Hut – wenn die Hand, die sie führt, nicht bestrafen sondern nur unterstützen und vor allem eines: HELFEN will. Denn dafür sind all unsere „Hilfen“ wie sie schon richtig heißen da: Um dem Pferd dabei zu helfen, unsere Anfragen umsetzen zu können. Und eine Gerte kann uns dabei – in den verschiedensten Längen – gute Dienste erweisen.
Die wichtigste Aufgabe einer Gerte ist sicher die unseres verlängerten Arms. Denn wenn wir am Kopf des Pferdes stehen, reicht unser Arm einfach nicht bis zur Hinterhand um sie zum weichen aufzufordern – die Gerte aber schon. Vielleicht fragt du dich, warum wir dann am Kopf stehen bleiben? Wir könnten uns ja auch zur Hinterhand stellen, um diese weichen zu lassen?
Natürlich funktioniert das auch – und es ist sogar mein erster Schritt, um dem Pferd mit einer Berührung meiner Hand zu erklären, dass es vor dem „Druck weichen“ soll. Sobald es das verstanden hat und ich vielleicht in die Seitengänge einsteigen möchte, wird es dem Pferd als Hilfe aber leider nicht mehr reichen, nur die Hinterhand weichen zu lassen. Ich müsste mich zerteilen, um auch an der Schulter und am Kopf unterstützen zu können – und da ist es dann für mich leichter alles in einem umsetzen zu können, weil mir die Gerte einen größeren Spielraum verschafft. Schließlich will ich es meinem Pferd so einfach wie möglich machen, meine Hilfen als solche zu verstehen, und es dort unterstützen, wo es meine Hilfe gerade braucht. Ich will mich also nicht entscheiden müssen – und diese Freiheit gibt mir die Gerte.
Außerdem verschafft sie mir auch eine gewisse Sicherheit. Vor allem bei Übungen in Beinnähe, z.B. dem spanischen Schritt wäre es recht unpraktisch, mich bücken zu müssen um das Pferd an meinem ausgesuchten Punkt rund um das Röhrbein zu berühren. Das könnte sogar schnell gefährlich werden.
Ich könnte mir natürlich auch einen Punkt weiter oben am Bein als Touchierpunkt aussuchen. Einige Pferde werden sicher auch das verstehen, doch meiner Erfahrung nach kitzelt man bei den meisten Pferden schneller eine Reaktion heraus, wenn man sie im unteren Bereich des Beins touchiert und mit meinem Grundsatz, es dem Pferd so leicht wie möglich zu machen, ist ein dosierter und sanfter Einsatz der Gerte meiner Meinung nach für das Pferd sinnvoller als eine Vermeidung.
Ohne Gerte geht es nicht mehr?
Auch diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Doch die Antwort ist einfach: Natürlich sollte es langfristig auch wieder ohne die Gerte gehen. Unsere Hilfen zu den jeweiligen Lektionen bestehen ja nicht ausschließlich aus einer Bewegung oder einem Touchieren mit der Gerte. Wir nutzen sie ja vielmehr im Zusammenspiel mit unserer Körpersprache, bestimmten Armbewegungen und vor allem bestimmten Stimmsignalen!
Wenn dein Pferd eine Übung und ihre von dir gewünschte Ausführung also erst einmal verstanden hat, braucht es ja immer weniger „Hilfe“ um sie korrekt auszuführen. Der Seitengang wird schließlich mit mehr Übung immer geschmeidiger – und unsere Pferde wollten uns ja gefallen! Das bedeutet, dass wir mit fortschreitender Ausbildung vielleicht nur noch einen Fingerzeig in Richtung Hinterhand brauchen, um sie wieder an etwas mehr Aktivität oder Übertritt zu erinnern und keine Berührung mehr mit der Gerte.
Auch beim spanischen Schritt hat sich mit der Zeit sicher dein Stimmsignal etabliert. Mit zunehmendem Training wird ja z.B. der Abstand zwischen dir und deinem Pferd dabei sowieso so groß, dass du dein Pferd gar nicht mehr berühren könntest und deine Stimme in Kombination mit deiner Körpersprache reicht völlig aus, damit dein Pferd versteht, was du dir von ihm wünschst. Du brauchst die Gerte also nicht unbedingt „für immer“, doch vor allem am Anfang erleichtert sie dir in der Kommunikation mit deinem Pferd einiges.
Meiner Meinung nach ist die Gerte also vor allem für das Pferd, wenn man sie korrekt einsetzt. Die Gerte macht es deinem Pferd in der Ausbildung möglichst einfach – und dir selbst möglichst sicher.
Vertrauen in die Gerte bekommen?
Die Angst vieler Pferde zeugt jedoch davon, dass der Umgang mit der Gerte in unserer Reiterwelt leider nicht immer sachgemäß erfolgt. Doch auch wenn du dein Pferd mit einer Gertenphobie übernommen hast, ist das ein toller Ansatz, um das Vertrauen deines Pferdes in dich zu stärken, indem ihr gemeinsam an der Angst arbeitet. Es liegt schließlich in deiner Hand, die Gerte in Zukunft nur noch als Hilfsmittel einzusetzen.
Fürchtet sich ein Pferd sehr, starte ich ähnlich wie z.B. auch mit einer Sprühflasche. Ich nähere mich mit der Gerte also dem Pferd so weit, dass es die Annäherung gerade noch aushalten kann und belohne es dann neben Worten (und bei viel Angst gern auch mal mit einem Leckerli – kauen entspannt nämlich!) vor allem durch das sofortige weg nehmen der Gerte und eine Pause.
Hast du den Moment verpasst die Gerte weg zu nehmen bevor dein Pferd anfängt zu zappeln, ist es am besten, wenn du es schaffst das nächste kurze innehalten deines Pferdes abzupassen, um die Gerte weg zu nehmen. Achte aber darauf, dass dein Pferd nicht panisch wird, weil du es hektisch mit der Gerte verfolgst – deine eigene ruhige Ausstrahlung ist immer der Mittelpunkt dieses Trainings, der für Vertrauen sorgt. Achte darauf, zu Beginn eher langsame Bewegungen zu machen – dein Körper muss dabei aber unbedingt in einer entspannten Haltung bleiben, damit dein Pferd sich nicht raubtierhaft verfolgt fühlt. Hier ist wie immer ein bisschen Fingerspitzengefühl nötig 😉
Kannst du dich deinem Pferd nun mit der Gerte gut annähern und es vielleicht sogar schon berühren, kannst du anfangen dein Pferd mit der Gerte abzustreichen. Es versteht sich glaube ich von selbst, dass du dabei ganz im Tempo deines Pferdes arbeitest und diese Schritte nicht unbedingt in eine Trainingseinheit packt. Vielleicht werden es auch 10 – oder du fängst eine ganze Weile immer wieder bei 0 an. Das hängt ganz davon ab, wie tief das Trauma deines Pferdes sitzt.
Streiche dein Pferd nun als nächsten Schritt in großen, langsamen Bewegungen ab. Klappt das gut, ist schon ein riesiger Schritt dafür getan, dass du die Gerte bald entspannt als verlängerten Arm benutzen kannst!
Die Königsdisziplin ist es dann, dich in entspannter Körperhaltung neben dein Pferd stellen und die Gerte geräuschvoll auf und ab schwingen lassen zu können. Deine entspannte Körperhaltung, z.B. mit einem angewinkelten Bein, zeigt deinem Pferd dabei, dass gerade nichts von ihm erwartet wird. Am Anfang solltest du wieder pausieren, wenn dein Pferd die Bewegung „aushält“ und sich nicht bewegt. Vor allem für Pferde, die Angst vor der Gerte haben bzw. hatten, kostet das nämlich wirklich Überwindung!
In meinem Video gehe ich nochmal darauf ein, wie ich mit der Gerte umgehe und zeige dir das Ganze auch am Pferd.
Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass ich dir die Vorteile eines meiner meist genutzten Hilfsmittel näher bringen konnte – denn Nachteile entstehen wie gesagt nur durch die Hand, die die Gerte führt. In diesem Sinne hoffe ich grundsätzlich auf weniger Pferde, die sich vor Gerten fürchten müssen und mehr Menschen, die ihre Hilfen auch als solche einsetzen – nämlich um dem Pferd zu helfen.
Alles Liebe dir und deinem Pferd!
Deine Kenzie
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